Vor Jahren lag Palermo im Würgegriff der Mafia. Heute wirkt die schicke
Hauptstadt Siziliens wie befreit. Dem Schweizer Fussballstar Pajtim Kasami
gefällt es jedenfalls in seiner neuen Heimat.
In Palermo hat Fussballer Pajtim Kasami (19) eine neue Heimat gefunden. Der
Schweizer U-17-Weltmeister mit mazedonischen Wurzeln wechselte im Sommer 2010
von Bellinzona zur US Palermo. «Palermo gehört zu den wenigen italienischen
Klubs, die auf junge Spieler setzen. Ich bin in Italien sogar der jüngste
Fussballer der Serie A, der regelmässig zum Einsatz kommt», sagt der offensive
Mittelfeldspieler.
Entsprechend bekannt ist der junge «Svizzero».
Durch die fussballverrückte
sizilianische Hauptstadt geht der 188 Zentimeter grosse Linksfüsser inzwischen
nur noch getarnt mit Mütze und Sonnenbrille, um nicht von fanatischen Tifosi
belagert zu werden. Aber nicht nur die Fans sind von Kasami angetan, auch andere
Fussballklubs wie die AS Roma interessieren sich für ihn. Kasamis Marktwert
liegt bei zwei Millionen Franken.
Bei so viel Interesse ist der Fussballer froh, dass ihm sein Zuhause
Privatsphäre garantiert: Er wohnt im ersten Stock eines Ferienhauses an der Via
Lungomare Cristoforo Colombo in Mondello. Der mondäne Badeort befindet sich nur
eine Viertelstunde ausserhalb des Stadtzentrums.
Karibische Zustände vor den Toren der
Stadt
In der Luft liegt der Geruch von Jasminblüten, die im Garten
von Kasami wachsen. Die riesige Terrasse gibt den Blick aufs Meer frei. In der
Bucht liegt feinster Sand. Das Wasser ist auffallend sauber. Die azurblaue Farbe
erinnert an die Karibik. Kasami findet allerdings kaum Zeit zum Baden. «Ich lebe
jetzt schon bald ein Jahr hier und kam nur dreimal ins Wasser. Wenn dich der
Trainer beim Baden sieht, kommt das nicht gut an», sagt der Schweizer.
Sowieso bewegt sich Pajtim Kasami, der in Andelfingen ZH aufgewachsen ist, in
engen Bahnen - vor allem zwischen Wohnort und Stadion Comunale Renzo Barbera. Er
ist froh, dass seine Arbeitsstätte nur zehn Minuten von der Wohnung entfernt
liegt. Mit seinem Klubauto, einem japanischen Kleinwagen, fährt der Zürcher
täglich zum Training. «Kleine Autos sind für die engen Gassen Palermos
ideal.»
Sonst ist Pajtim Kasami nicht viel in Siziliens Hauptstadt
unterwegs. Nur zum Einkaufen oder für ein Abendessen geht er ins Zentrum. Am
wohlsten fühlt er sich im Stadtteil Libertà. In der gleichnamigen Strasse, die
den Pariser Champs-Élysées nachempfunden ist, befindet sich auch sein
Lieblingsladen: das Dell'Oglio an der Via della Libertà 41. Dort kauft der
Fussballer regelmässig Kleider ein. In dieser Gegend wimmelt es von Boutiquen
bekannter Marken wie Louis Vuitton, Tommy Hilfiger oder Hermès. Diverse Banken,
ein Hammam und das Ò-Sole- Mio-City-Spa machen das Quartier definitiv zum
schicksten Stadtteil Palermos.
Das unverfälschte Palermo findet man auf dem Markt
In
Libertà, genauer an der Piazza Politeama, befindet sich auch das Fratelli la
Bufala, das Lieblingsrestaurant von Pajtim Kasami. Hier geniesst der
U-21-Natispieler häufig eine Pizza al tonno oder Pasta al gamberetti. Kasami:
«Ich schätze die vielen Pastasorten, das feine Fleisch und die gute Lage.»
Am unverfälschsten ist Palermo in den benachbarten Stadtteilen Vucciria,
Kalsa und Ballarò. In der Altstadt, einer der grössten Europas, wird gegessen,
getrunken, gestritten und vor allem gehandelt.
Schönstes Beispiel dafür ist der
Strassenmarkt um die Piazza Ballarò: Ein Metzger halbiert mit dem Beil einen
Ziegenkopf, Verkäufer schreien sich die Seele aus dem Leib, um Aprikose oder
Erdbeerenkörbchen anzupreisen. Gleich daneben gibt es riesige Thunfische für
zehn Euro das Kilo. Schnecken kriechen aus Bastkörben, als ob sie wüssten, dass
sie schon bald im Kochtopf landen - gemeinsam mit Olivenöl und Knoblauch. Als
einzige Oase der Ruhe und ideale Einkehr für einen Espresso entpuppt sich in
diesem Stimmengewirr die Antica Caffetteria Di Spatola Anna Maria.
Auch
abends ist auf der Piazza Ballarò ganz schön was los. Dann feiern die
einheimischen Jungen in den Birrerias ihre Partys.
Das wahre Gesicht Palermos, das man in der Altstadt sieht, ist jedoch nicht
nur auf Hochglanz polierte Idylle für Touristen. Durch die viel zu engen Gassen
quälen sich hupend Autos und Vespas. Fussgänger sind bei der Stadtplanung
vergessen gegangen. In den Hinterhöfen ist der Verputz längst abgeblättert, und
die Balkone scheinen demnächst vom Himmel zu fallen. Fast an jedem Haus hängt
ein rosa- schwarzer Wimpel des Fussballklubs US Palermo - auch wenn es farblich
meist nicht zum Gebäude passt. Palermo ist aber nicht nur voll mit Klubwimpeln,
sondern auch mit Gotteshäusern: zum Beispiel die Kathedrale Maria Santissima
Assunta aus dem sechsten Jahrhundert, die von den Arabern in eine Moschee
ugewandelt wurde. Sie ist fast so gross wie ein Schweizer Bergdorf. Oder die
Chiesa San Cataldo, deren Kuppeln im arabischen Stil rosafarbig läuchten, als ob
auch sie Fan der US Palermo wären. Einige Meter daneben befindet sich Quattro
Conti, Palermo malerische Kreuzung. Zaghaft werden in dieser Gegend Strassenzüge
renoviert und Paläste aus dem Mittelalter in malerische Hotels verwandelt.
"Addio Pizzo"
Noch vor 15 Jahren lähmte die Mafia die
Stadt. Doch nun beginnen sich die Palermitaner zu wehren. Immer mehr
Ladenbesitzer haben Abziehbilder mit "addio pizzo", "Adieu Schutzgeld", an den
Eingangstüren ihrer Geschäfte angebracht. Über 400 Ladenbesitzer und Händler
haben sich zusammengeschlossen, weil sie den Clans kein Geld mehr in den Rachen
werfen wollen. Im neuensten Stadtplan sind Unterkünfte, Restaurants und
Geschäfte eingezeichnet die sich verpflichtet haben, kein Schutzgeld an die Cosa
Nostra zu bezahlen. Der Plan ist am Bahnhof, am Flughafen und in den Hotels
erhältlich. "Addio Pizzo" steht beispielsweise beim Eingang zum Kursaal Kalhesa,
in dessen Gewölbe ein Buchladen und ein Restaurant untergebracht sind.
Wir spazieren zur Kapuzinergruft, zu einer Begegnung der makabren Art im
Normannenpalast. Im einstigen Kloster ruhen in Korridoren rund 1200 Mumien. Erst
1837 verbot die Regierung diese Art der Bestattung.
Allein der Sugo ist eine Reise wert
Pralles Leben dafür
an der Via Maccherronai im Quartier Vucciria mit seinem Mercato, der früher der
wichtigste Fischmarkt war. In der Bar Azzurra diskutieren Pensionäre schon am
Morgen bei einem Rotwein über Gott, die Welt und über die US Palermo. Gleich
daneben in der Trattoria da Toto gibt es den weltbesten Sugo, angereichert mit
fleischigen Tomaten, Knoblauch und Olivenöl. Allein schon dieser Sugo und die
Pasta für sechs Euro sind eine Reise wert.
Das klingt, als sei Palermo ein Ort für die Ewigkeit. Fussballer Pajtim
Kasami warnt aber: «Im Sommer kann es mit dem Scirocco 34 Grad warm werden.» Und
bei den Heimspielen der US Palermo wirds noch heisser.
Text: Reto E. Wild
Bilder: Roger Wehrli
Ergänzung GO-Italy: Dieser Artikel wurde in der Migros-Magazin vom 14. Juni
2011 publiziert.
Der Fussballprofi Pajtim Kasami wechselte in der Zwischenzeit
von Palermo zu Fulham.